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Neurojackpot

Warum das Unterscheiden zwischen Ursache und Auslöser wichtig ist.

09. September 2022

[Bild: Warum das Unterscheiden zwischen Ursache und Auslöser wichtig ist.]

Noch vor einigen Monaten habe ich nicht wirklich zwischen Ursache und Auslöser meiner Migräne unterschieden. Ich wollte einfach wissen: “Weshalb bekomme ich ständig Migräne?” und “Wie kann ich das vermeiden?”

Über die Jahre verdächtige ich verschiedenste Auslöser. Manchmal strich ich einen Punkt auch wieder von der Liste. Allerdings geschah das seltener, als dass ein Punkt neu hinzu kam.

  • Sehkorrektur
  • Alkohol (auch in kleinen Mengen)
  • zu wenig und/oder zu viel Kaffee
  • Reisen
  • Allergien
  • (Bildschirm)arbeit
  • bestimmte Wetterphänomene
  • Wetterwechsel im Allgemeinen
  • Histaminhaltige Nahrungsmittel

Natürlich versuchte ich, jene Auslöser, welche in meinem Einfluss lagen, möglichst zu vermeiden. Je länger die Liste aber wurde, desto kleiner wurde mein Leben.

Dass ich zum Teil komplett daneben lag, wurde mir erst im Nachhinein mit etwas Abstand bewusst. Mein Verständnis war lange, dass es keine einzelne, klare Ursache gäbe, aber dass es dann zur Migräne komme, wenn ein gewisses Mass an “schlechten” Einflüssen erreicht sei. Beim Experimentieren habe ich oft insofern gute Erfahrungen gemacht, als dass ich Phasen erlebte, in denen es mir etwas besser ging. Auch wenn ich nie sicher war, ob es sich um Zufall handelte, griff ich nach jedem Strohhalm - was hätte ich sonst tun sollen. Als ich beispielsweise anfing, auf gewisse Nahrungsmittel zu verzichten, ging es mir zu Beginn deutlich besser. Heute gehe ich davon aus, dass das eine Kombination von Zufall und durch Optimismus befeuertem Placebo war. Das Perfide war damals, dass ich dachte, ich wäre endlich auf der richtigen Spur. Ich wollte natürlich weitergehen und herausfinden, welche Lebensmittel für mich tabu waren, damit ich meine Migräne loswerde. Ehe ich mich versah, war mein Speiseplan auf ein trostloses, sozial unverträgliches und ungesundes Minimum geschrumpft.

Seit kurzem kenne ich die wirkliche Ursache meiner Migräne: Sie ist eine Form von chronischen neuroplastischen Schmerzen. Durch Lernprozesse hat mein Hirn neuronale Pfade gebildet, welche dazu führen, dass mein Organismus auf verschiedene Auslöser mit Migräne reagiert.

Für mich ist diese Erkenntnis zusammen mit dem Wissen um die Plastizität des Hirns wohl das Wichtigste, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Warum? Ich kann mein Hirn wieder umtrainieren und die chronische Migräne loswerden. Das gibt mir die Kontrolle und Handlungsfähigkeit, welche ich früher vergeblich in der Vermeidung von Auslösern gesucht habe. Heute unterscheide ich ganz klar zwischen der eigentlichen Ursache der Migräne und den Auslösern.

Früher zerbrach ich mir oft den Kopf über die Frage, ob ein bestimmter Punkt auf der Liste tatsächlich ein Auslöser ist, oder ob es sich um eine zufällige Korrelation handelt. Weil ich heute die tatsächliche Ursache meiner chronischen Migräne kenne und ich dadurch weit effektivere Hebel zur Verfügung habe als das Vermeiden von Auslösern, hat diese Frage für mich an Bedeutung verloren. Heute weiss ich: Egal wie stark der Zusammenhang zwischen den einzelnen Punkten auf der Liste und meiner Migräne ist, handelt es sich um eine Überreaktion meines Nervensystems.

Aktuell bin ich mit PRT und Curable daran, mein Hirn umzutrainieren. Die Liste schrumpft und mein Leben wird wieder grösser! Natürlich sind einige Punkte einfacher und andere hartnäckiger. Der Heilungsprozess ist nicht geradlinig und die nötige Geduld dafür aufzubringen ist zuweilen eine Herausforderung.

Herzlich, Adrian

P.S. Ich habe hier ein Beispiel geschildert, bei dem mich der Placeboeffekt auf eine falsche Fährte gelockt hat. Im Allgemeinen bin ich aber der Meinung, dass der Placeboeffekt eine grossartige Sache ist. Die Trennung von “Körper” und “Psyche” in unserer Kultur führt auch zu der Unterscheidung zwischen “richtiger Medizin” und “nur Placebo”. Dies ist wenig hilfreich, insbesondere weil die “richtige Medizin” keine befriedigenden Lösungen für viele chronische Krankheiten bietet. Ich wünsche mir, dass sich das Verständnis von Erkrankungen als biopsychosoziales Phänomen durchsetzt und im Gesundheitswesen gezielter auf den Placeboeffekt als mächtige Komponente der körpereigenen Selbstheilungsfähigkeit zurückgegriffen wird.

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