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Neurojackpot

Weshalb sind einige Personen von neuroplastischen Schmerzen & Symptomen betroffen und andere nicht?

10. November 2022

[Bild: Weshalb sind einige Personen von neuroplastischen Schmerzen & Symptomen betroffen und andere nicht?]

Schmerz ist ein Alarmsignal. Er ist ein gut funktionierender Mechanismus, der uns vor Gefahren warnt und uns motiviert, unser Verhalten entsprechend anzupassen, um der Gefahr zu entkommen.

Dr. Howard Schubiner verwendet folgende Analogie: “Manche Feueralarmsysteme gehen bereits los, wenn etwas Rauch aus der Küche kommt. Andere schlagen erst Alarm, wenn die Küche schon in Flammen steht.” Das heisst, der Schwellwert, wann gewarnt wird, ist unterschiedlich und so kann das Warnsystem Schmerz auch von Mensch zu Mensch verschieden sein.

Aber weshalb haben einige Menschen ein sensibleres Alarmsystem als andere und weshalb kommt es bei einigen sogar zu gelernten Schmerzen?

Die Hypothese: Hochsensibilität kann einen Einfluss haben.

Ein Teil dieser Frage lässt sich beantworten, indem man sich mit der Hochsensibilität und deren Auswirkungen auf den Menschen befasst. Noch gibt es unseres Wissens keine Studien, welche den expliziten Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen und Hochsensibilität untersucht haben. Immer wieder finden sich jedoch mündliche Hinweise von Fachpersonen in Podcasts und Vorträgen. Dazu gesellen sich eigene Erfahrungen und Beobachtungen.

Was ist Hochsensibilität?

Menschen, die mit einem Nervensystem ausgestattet sind, welches sehr fein auf innere und äussere Reize reagiert, nennt man hochsensibel. In der Fachliteratur hat sich dafür die Abkürzung HSP (highly sensitive person) durchgesetzt. Forschungsergebnisse belegen, dass etwa 15 bis 20% aller Menschen hochsensibel sind.

Da klingelt doch etwas? Ein Nervensystem, das sehr fein auf innere und äussere Reize reagiert?

Wer selbst hochsensibel ist, kennt es: Zu viele Reize, zu wenig Rückzugsmöglichkeiten und die Überstimulation ist nicht weit. Hochsensible Menschen nehmen die Informationsflut aus ihrer Umgebung intensiv wahr und verarbeiten diese Reize äusserst differenziert. Neben dem Einfluss von äusseren Reizen und einem damit in Verbindung stehenden, geringeren Filtervermögen, kann aber auch die starke Beeinflussung durch eigene Vorstellungen, Gedanken, Stimmungen und Gefühle Ausdruck von Hochsensibilität sein. Die Reaktionen können individuell sehr unterschiedlich sein und reichen von leichtem Unwohlsein bis hin zu Panikattacken und/oder starken körperlichen Beschwerden. Typischerweise befinden sich Hochsensible häufig im Zustand der Reizüberflutung und brauchen üblicherweise lange, um sich zu beruhigen und “runterzufahren”. Mit Hochsensibilität zu leben, erhöht das Risiko für Dauerstress und seine Folgen.

Hochsensibilität ist kein Modewort und auch keine Diagnose. Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal. Der Begriff wurde von Elaine Aron geprägt, welche 1991 begann, im Bereich der Hochsensibilität zu forschen. Erste Beschreibungen des Phänomens gehen jedoch noch viel weiter zurück. Unterdessen weiss man, dass das Hirn von hochsensiblen Menschen sicht- und messbar anders funktioniert als jenes von nicht hochsensiblen Personen. Diese Erkenntnis führte unter anderem zur Bezeichnung “neurosensitiv”.

Hochsensibilität reduziert sich nicht darauf, ein feines Gehör oder einen sensiblen Geruchssinn zu haben. Heute werden folgende vier Dimensionen unterschieden. Es können alle vier Kriterien zutreffen oder auch nur einzelne ausgeprägt sein:

Emotionale Intensität
Alles wird sehr intensiv erlebt, sowohl das Schöne und Angenehme wie das Schwierige und Unangenehme.

Übererregbarkeit
Reize und Wahrnehmungen prasseln mehr oder weniger ungefiltert auf einen ein, was dazu führen kann, dass das Nervensystem sehr angespannt ist und man sich häufig in einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft befindet.

Gründliche Informationsverarbeitung
Wahrnehmungen und Erlebnisse werden differenziert begriffen und müssen sorgfältig verarbeitet werden, wozu Zeit und Ruhe benötigt werden.

Sensorische Empfindlichkeit
Starke Reaktionen auf Geräusche, Töne, Gerüche, Geschmäcker, Berührungen oder visuelle Reize.

Um herauszufinden, ob man selbst hochsensibel ist, gibt es im Internet diverse Tests, die Aufschluss geben und sich alle mehr oder weniger am Original von Elaine Aron orientieren. Wir empfehlen zudem, sich in das Thema einzulesen oder -hören, wenn man interessiert ist und die Vermutung hat, hochsensibel zu sein. Die Quellenangaben am Ende dieses Beitrags können einen guten Anfang darstellen.

»Je besser wir uns kennen, desto besser wird unser Leben«

(Irven Yalom)

[Bild: Sitzbank] Meist ist das Erkennen einer Hochsensibilität augenöffnend und eine grosse Erleichterung für Betroffene. Endlich gibt es eine Erklärung dafür, wie ich mich fühle, wie ich denke und reagiere. Endlich kann ich mich gezielt damit auseinandersetzen und Möglichkeiten und Strategien kennenlernen, die mir im Alltag helfen, Situationen der Überstimulationen zu reduzieren.

Ein wichtiger Grundpfeiler von Pain Reprocessing Therapy ist das Senken der Alarmstufe.

Wir empfehlen Menschen mit chronischen Schmerzen & Symptomen, sich mit dem Konzept der Hochsensibilität auseinanderzusetzen. Erkennt man sich darin wieder, kann das eine wichtige Erklärung dafür sein, weshalb man sich stets in einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft befindet. Und ist einem dies erst einmal bewusst, kann Gegensteuer gegeben werden. Zudem darf nicht vergessen werden, dass eine erkannte und bewusst gelebte Hochsensibilität viele sehr schöne Seiten hat, mit einem enormen Potenzial einhergeht und eine wertvolle Qualität der eigenen Persönlichkeit ist. Nicht umsonst hat sich in der Evolution der Anteil hochsensibler Menschen von 15-20% an der Gesellschaft durchgesetzt. Für uns war es wichtig, zu erkennen und verstehen, weshalb wir uns in gewissen (“normalen”) Situationen augenscheinlich anders fühlen und anders reagieren als die grosse Mehrheit. Diese Erkenntnis hat uns zu mehr Selbstverständnis und zu mehr Selbstmitgefühl verholfen. Beides sind wichtige Faktoren im Prozess, dem Hirn ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und den Zustand erhöhter Alarmbereitschaft zu reduzieren.

Zum Schluss ist zu ergänzen, dass nicht alle hochsensiblen Personen notgedrungen chronische Schmerzen entwickeln. Und nicht alle Personen, die chronische Schmerzen entwickeln sind hochsensibel. Wie gesagt, noch fehlen einschlägige Forschungsresultate zu diesem Thema.

Quellen

Die Informationen für diesen Beitrag sind folgenden Quellen entnommen:

Empfehlenswert ist zudem das Buch Zart besaitet - Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen. von Georg Parlow.

Wer den Podcast Beziehungskosmos mag (auf Schweizerdeutsch), kann sich die Folge 16 anhören.

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